Temporallappen-Epilepsie: Gezielte Gentherapie kann zu langanhaltender Anfallsfreiheit führen

Einen grundlegend neuen Ansatz zur Behandlung von therapieresistenten Temporallappen-Epilepsie (TLE)-Betroffenen hat Prof. Dr. Regine Heilbronn, Direktorin des Instituts für Virologie am Charité Campus Benjamin Franklin, in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Christoph Schwarzer vom Institut für Pharmakologie der Medizinischen Universität Innsbruck entwickelt. Die neue Methode basiert auf einer gezielten Gentherapie, mit der ein spezielles Gen selektiv in die Nervenzellen jener Gehirnregion eingeschleust wird, von der die epileptischen Anfälle ausgehen.

Charite_Nervenzellen

BU: Nervenzellen im Hippokampus des Gehirns (Tiermodell). Für den neuen gentherapeutischen Ansatz wird hier ein zusätzliches Gen eingeschleust, sodass die Zellen bei Bedarf Dynorphin ausschütten. Foto: Schwarzer/Medizinische Universität Innsbruck

Neue gezielte Genttherapie reduziert deutlich

Das Gen liefert die Produktionsanweisung für Dynorphin, eine körpereigene Substanz, die vor übermäßiger neuronaler Erregung schützen kann. Sobald die Neuronen das Gen aufgenommen und gespeichert haben, produzieren sie dauerhaft den Wirkstoff auf Vorrat. „Bei hochfrequenter Stimulation der Nervenzellen, wie zu Beginn eines Anfalls, wird Dynorphin ausgeschüttet. Es bewirkt eine Dämpfung der Reizweiterleitung und der epileptische Anfall bleibt aus“, beschreibt der Neurobiologe und Epilepsie-Experte Prof. Schwarzer die Methode. „Da der Wirkstoff nur bei Bedarf von den Zellen abgegeben wird, sprechen wir von einer ‘drug on demand‘-Gentherapie.“ Das Forschungsteam konnte jetzt im Tiermodell zeigen, dass die Gentherapie epileptische Anfälle über mehrere Monate unterdrückt. Mit den Anfällen blieben auch deren negative Effekte auf Lernen und Gedächtnis aus. Nebenwirkungen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher nicht beobachtet, was sich durch die regional und zeitlich beschränkte Wirkung der Dynorphin-Ausschüttung erklären lässt. Durch die bedarfsgesteuerte Freisetzung wurden auch keine Gewöhnungseffekte festgestellt. Zusätzlich testete die Forschungsgruppe das Behandlungsprinzip auch an Gewebeproben von Epilepsiepatienten – mit Erfolg: Dynorphin konnte die Stärke und Häufigkeit synchroner Neuronen-Aktivität im Gewebeverbund deutlich reduzieren.

Fazit der Experten

„Die Ergebnisse unserer Studie stimmen uns zuversichtlich, dass der neue Therapieansatz auch bei Menschen Erfolg zeigen könnte“, sagt Prof. Heilbronn. „Wir nutzen als Transportvehikel für das Gezielte Gentherapie, mit der ein spezielles Gen selektiv in die Nervenzellen jener Gehirnregion eingeschleust wird, von der die epileptischen Anfälle Dynorphin-Gen sogenannte Adeno-assoziierte Viren, die bereits zur Therapie bei Menschen zugelassen sind und als sicher gelten.“ Die neue Gentherapie wollen Prof. Heilbronn und Prof. Schwarzer nun schnellstmöglich zur Klinikreife bringen. „Wir arbeiten derzeit daran, die virale Genfähre für die Anwendung bei Menschen zu optimieren“, erklärt Prof. Heilbronn. „Unser Ziel ist, das Gentherapeutikum in wenigen Jahren als Arzneimittel erstmals in der klinischen Testphase einsetzen zu können.“ Zeigt sich die Behandlung erfolgreich, würde TLE-Betroffenen, bei denen eine medikamentöse Behandlung nicht wirksam ist, eine minimalinvasive Einmaltherapie als weitere Therapie-Alternative zur Verfügung stehen.

Originalpublikation

Dynorphin‐based “release on demand” gene therapy for drug‐resistant temporal lobe epilepsy, Fachzeitschrift EMBO Molecular Medicine, 2019

Quelle: PI, Charite, 30.10.2019

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